Fehlerkultur

Wir möchten in unserem Unternehmen eine Fehlerkultur leben und befördern. Die grundsätzliche Idee der Fehlerkultur ist:

"Mach ruhig Fehler, aber sieh bloß zu, dass Du denselben nur einmal tust."

Es wird also das Machen von Fehlern zugestanden unter der Maßgabe, dass der Delinquent aus seinem Fehler lernt und es fürderhin besser macht. Dieser Ansatz beruht auf zwei wesentlichen Fehlannahmen:

  1. Es ist immer möglich, aus einem Fehler zu lernen.

    Die Gemengelage kann so komplex sein, das der Kern der Sache überhaupt nicht zu ermitteln ist,oder auch links-rechts-Entscheidung

  2. Die Erkenntnis des Fehlers lehrt automatisch, wie es richtig geht.

    siehe auch: "Ich habe 20.000 Dinge gefunden, die nicht funktionieren."

Wir behaupten zwar, dass wir eine Fehlerkultur haben oder zumindest wollen, tatsächlich haben wir Mechanismen in place, die das verhindern.

Beispiel: Entwickler im Projekt

Entwickler in unseren Projekten sind aus 3 Gründen mit einer Erwartungshaltung an ihre Unfehlbarkeit konfrontiert:

  1. Unser Wert "Spitzenleistung" postuliert, dass wir stets Top-Ergebnisse abliefern - Fehler passen da nicht ins Bild.

  2. Es gehört zum Scrum-Selbstverständnis, dass das Entwicklungsteam eine Art Superheldenbande ist, die die ganze Welt retten könnte und würde, wenn man sie nur zum Dreh- und Angelpunkt allen Geschehens machte und ihnen erlaubte, alles genau so zu machen, wie sie es wollen.

  3. Es gibt eine Erwartungshaltung seitens unserer Kunden bezüglich eines "first time right". Solange die Ursache nicht explizit in einem Fehlverhalten von Kunde oder PO liegt, gibt es keinen Grund, warum bei der Implementierung irgendwelche Fehler passieren können sollten.

Das führt zu einem toxischen Fehler-Masking, sowohl den Kunden gegenüber als auch intern:

So werden Retros zu einer "dodge the bullet" show, bei der es darum geht, möglichst allem aus dem Weg zu gehen, das auf faktische Probleme im Entwicklungsteam hinweisen könnte. Statt dessen kommt man dabei raus, dass die Requirements nicht klar sind oder Stories zu vage oder zu detailliert vor allem aber der Kunde einem ja immer wieder Knüppel zwischen die Beine wirft.

Weil die für den Prozess ursprünglich angedachte Transparenz das Bild beschädigen könnte, gibt es einige Mechanismen, um mögliche Probleme schon im Vorfeld durch Verwässerung zu beseitigen:

  • Story points sind ein hervorragender Mechanismus, weil man in Kombination mit der Velocity eine Zahl erzeugt, die so viele Variablen hat, dass es unmöglich wird, etwaige Probleme daraus abzuleiten. Originellerweise funktioniert das auch andersrum: Man sagt gern sowas wie "Wir müssen die Velocity erhöhen!" und es gibt überhaupt keinen Weg, zuverlässig rauszukriegen, an welcher Schraube man dafür drehen müsste.

  • Technical Debt ist der Sammelbegriff für "Wir müssten da was refactoren." Dabei hat man das Narrativ etabliert, dass jegliche Probleme in der Code-Qualität ausschließlich durch bewußte, druck-induzierte Entscheidungen zustande gekommen sind - so ein "das haben wir tatsächlich so schlecht gelöst, dass es nicht trägt" hört man da auch intern praktisch nie.

Wie kommen wir aus dieser Misere raus?

Was ist eigentlich ein Fehler?

Die Wurzel allen Übels ist der Glaube, dass es eine unmittelbare Korrelation zwischen "richtigem"/"falschem" Verhalten und Erfolg/Misserfolg gibt.

Beispiele:

  1. Der amerikanische Traum: "Du kannst alles erreichen, wenn du nur hart arbeitest!"
    → Korollar: "Wenn du nicht erfolgreich bist, muss das an dir liegen."

  2. Rechtssprechung: Bestrafung in erster Linie nach Auswirkung, die Absicht gilt höchstens als mildernder Umstand. Bsp: Totschlag. Gleichzeitig ist nur ein Bruchteil aller möglichen Straftaten schon beim Versuch strafbar.

Nachweis: Monopoly-Studie - wir miss-attributieren Erfolg als durch richtiges Verhalten bedingt, selbst wenn das Gegenteil offensichtlich ist.
→ Kulthafte Verehrung erfolgreicher Menschen.

Diese Umstände führen zu einem toxischen Umgang mit Erfolg und Misserfolg: Bei Erfolg blenden wir Fehlverhalten aus; bei Misserfolg versuchen wir, Gründe zu finden, die mit uns nichts zu tun haben. → Projekt-Retros.

Je größer der Price-Tag eines Fehlers, desto toxischer wird unser Umgang damit.

Unser Ziel muss sein, von einer Outcome-basierten zu einer verhaltens-/aktionsorientierten Bewertung unseres Tuns zu kommen.

Das einzige, das wir wirklich unter Kontrolle haben, sind unser Verhalten, unsere Handlungen und die Entscheidungen, die wir treffen.

Wir brauchen ein Bild davon, wie wir Verhalten, Handlungen und Entscheidungen unabhängig von ihrem Outcome bewerten wollen und können.

Beispiel: Zeiss-Aktion mit fiktiven Ausgang (negativ)
⇒ Wenn wir einen nicht-toxischen Umgangs mit Fehlern wollen, müssen wir es schaffen, von der Outcome-orientierten Bewertung runter zu kommen.
⇒ Kontrolle → emotional safety → Fehlerkultur - Handeln ist alles, Outcome ist nichts!
→ Beispiel: Musiker-Post auf Instagram.

Wenn wir das schaffen, werden wir nach unseren Handlungen bewertet und müssen keine Angst haben, dass uns unser Tun aus Gründen, die außerhalb unseres Einflußbereichs liegen, um die Ohren fliegt.

Das ist der ultimative Enabler für unseren Wert "Mut"

Gleichzeitig brauchen wir eine explizite Trennung unserer Darstellung nach innen und nach außen:

  • Nach außen:" Wir sind die geilsten!"

  • Nach innen:" Seien wir ehrlich: Wir haben alle keine Ahnung - lasst uns gemeinsam besser werden!"

Zielsetzungen:

Ein Ziel, das ein Outcome beschreibt, ist aus den genannten Gründen intrinsisch toxisch mit den zuvor beschriebenen Auswirkungen.

⇒ Wir sollten Ziele so formulieren, dass sie Verhaltensweisen und Aktionen beschreiben statt auf Outcomes zu setzen. Bei der Bewertung kann man auch die getroffenen Entscheidungen berücksichtigen.

Korollar: Ziele, die SMART sind, sind nicht wirklich smart.

Warum? → Weil wir nur dann, wenn wir die Kontrolle haben, uns wirklich auf Ziele committen können. Es ist auch viel leichter, zu beschreiben, was man tun möchte, um sich weiterzuentwickeln, anstatt ein ambitioniertes, aber realistisches Outcome definieren zu wollen.

Jetzt das große Problem

Der Welt sind unsere Handlungen und Entscheidungen vollkommen Hupe. Der Outcome ist literally das Einzige, das irgendeine Bedeutung hat. Wenn wir einen Bid verlieren, kommt die Kohle nicht rein. Wenn wir ein Projekt verkacken, geht die Kohle möglicherweise sogar raus.

⇒ Theoretisch ist es möglich, dass wir uns die ganze Zeit auf die Schultern Klopfen für die ganzen geilen Sachen, die wir gemacht haben, während gleichzeitig unser ganzer Laden Konkurs geht.

Wie sollten wir damit umgehen?

Aktion und Outcome sind on average nicht wirklich korrelationsfrei.

Wir dürfen daran glauben, dass wenn wir richtig handeln und gute Entscheidungen treffen, wir am Ende für gewöhnlich erfolgreich sein werden.

Statt vom Erfolg auf die Richtigkeit unseres Handelns zu schließen, müssen wir uns auf das Handeln konzentrieren und den Outcome ausblenden.

Warum können wir das? → Abstraktion

Wir sind nicht umsonst ein Unternehmen. Wenn einer in einem Projekt was verdödelt, dann sind da 10 weitere, die es richtig gemacht haben. Wenn wir einen Bid verkacken, kriegen wir die anderen dafür.

Und wie war das jetzt nochmal mit der Fehlerkultur?

Wir brauchen keine Fehlerkultur. Das Konzept des Fehlers ist semantisch viel zu überladen und mit dem Outcome korreliert.

Statt dessen brauchen wir eine Growth culture.

Deren Kern sollte sein, dass wir uns immer fragen:

Wie sollte ich mich verhalten? Was sollte ich tun?

Und egal, was das Ergebnis unserer Handlungen und Entscheidungen ist, ob wir Erfolg haben, Misserfolg haben, unfair behandelt wurden oder gar mit einem blauen Auge davongekommen sind, wir sollten darüber reflektieren, ob unser Handeln gut war und was wir vielleicht anders und besser machen können.

→ nicht: hätten machen können, sondern künftig besser machen wollen!

Growth bedeutet, zu wachsen und besser zu werden in dem, was man tut - sich besser verhalten, besser handeln, bessere Entscheidungen treffen. Die Frage sollte lauten:

Was hab ich dieses Jahr anders und besser gemacht als letztes Jahr? Was sind meine Erkenntnisse und Discoveries und wie kann ich die künftig nutzen?

Macht so ein EoY viel motivierender als ein "Joah, hast du dieses Jahr 3 leads generiert, genau wie es hier auf dem Zettel stand - SO EIN 'GOOD' HEISST JA AUCH WIRKLICH 'GUT'!"

Ich möchte in einem Unternehmen arbeiten, bei dem ich mutig Entscheidungen treffen kann, ohne befürchten zu müssen, durch irgendeinen blöden Umstand am Ende mit einem "Ja hast du ja ganz offensichtlich verkackt!" rauszukommen.

Ich möchte mit meinem People Lead darüber sprechen, was ich gemacht habe, ob das gute Ideen waren und dann gemeinsam, ganz ohne Rücksicht auf die Bewertung zu schauen, was mit hindsight bias alternative Handlungsmöglichkeitanten gewesen wären und was das für die Zukunft bedeutet.

Und wie erreichen wir jetzt unser Outcome? Wir erinnern uns - eigentlich zählt nur das

Die Idee, unsere Ziele auf der Basis von Verhaltensweisen und Handlungen anstatt auf der Basis von Outcomes zu definieren, auf dass wir unsere Zielerreichung einzig und allein von uns abhängig ist, heißt nicht, dass wir die Outcomes ignorieren sollten oder auch nur können. → Wir brauchen eine Möglichkeit zur Steuerung.

Um Steuern zu können, brauchen wir eine Betrachtung der Outcomes. Brauchen wir das für alles, wofür wir mal Ziele definiert haben?
⇒ Für sowas wie KPIs schon. Was ist mit "internem" Kram?
⇒ Wir tun eigentlich alles, weil wir ein Outcome zu erreichen wollen.
⇒ Der Outcome ist also das Ziel. Ohne den würden wir nichts anfangen.

Wir müssen also von dem gewünschten Outcome die Ziele ableiten. Das führt zu einem Mapping. Wir haben den gewünschten Outcome und das Handeln, von dem wir glauben, dass es uns ans Ziel bringt. Diese Übersetzung kapselt den unsicheren Teil. Wir kommen mit handlungsorientierten Zielen raus, auf die wir uns committen können. Diese können dann auch bewertet werden. Gleichzeitig kann man sich die Ableitung der Ziele anschauen, um zu sehen, ob man die falschen Ideen hatte oder widrige Umstände vorlagen.

Der Prozess sollte also so sein, das wir uns zuerst überlegen, was der Outcome sein sollte, bzw. der Impact, den wir haben wollen. Im nächsten Schritt überlegen wir uns die Maßnahmen, die zu diesem Ziel führen sollen. Die werden zu unseren "praktischen" Zielen. Am Ende bewerten wir eben genau diese Sachen und holen uns dazu Feedback ein.

Wenn wir das geschafft haben, schauen wir nach den Delta zwischen Handeln und Outcome und justieren für die Zukunft nach.